Mikrobi

Klagefall & Texas-Jim & Hulot

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Blankenburg (Deutschland), 21:16 Uhr

Im Herzen des Ortes gibt es einen Uhrenladen, in dessen Schaufenster eine grobe Gardine hängt. So einen hast du zuletzt beim Wandertag im Kinderferienlager gesehen, in den Achtzigern, als Digitaluhren aus Ruhla der letzte Schrei waren. Zumindest für jene ohne Westverwandtschaft. Die gelbe hätte es sein dürfen. Sah ein bisschen nach mehr aus. Aussichtslos. Musstest Vaters alte Russenwecker umschnallen.

Vielleicht repariert der Mann hinter der Gardine aber auch gar keine Uhren, sondern die Zeit? Ist deshalb sein dämmriger Laden immer voll graugebückter Menschen? Wer könnte das nicht gut gebrauchen: Einen Fritzen für verlorene Gelegenheiten, beschissene Entscheidungen, missratene Worte, kassierte Prügel, versäumte Küsse, schief Gegangenes und verranztes Gutes, das sich heute noch wie im Museum auf seiner Einmaligkeit ausruht. Dinge, die erst im Alter schimmern. „Uhr ist Uhr, egal was auf dem Zifferblatt steht“, sagt er immer. Sowas gibt's nur hier.

Düsseldorf (Deutschland), 21:15 Uhr

Eine Altbierkneipe.

– Älterer Dude: Wieder ein Match! (zeigt sein Smartphone)

– Junger Pullover-über-Schulter-Typ: Fran-ces-ca.

– Jüngerer Poloshirt-Typ: Saftig!

– Dude: Hatte mal ‘ne Francesca. Ein Geschoss. Nervte aber bald. War den Aufwand nicht wert.

– Poloshirt: Wildlachs – nur 39 Euro das Kilo! (zeigt sein Smartphone)

– Pullover: Feucht gebeizt.

– Dude: Die wollte immer mit auf's Boot. Hat sich da aber nur gesonnt. Ist auch nicht so dolle, wenn du weißt, was der Mann hier meint.

– Poloshirt: ‘fjeden! Und dann?

– Dude: In die Wüste geschickt.

– Pullover: Echt günstig – 39 Euro!

– Dude: Kenn einen, der machts für fünfundzwanzig. Wertig!

– Poloshirt: Oha!

– Kellner: Darf’s noch was sein?

– Dude: Drei Alt pro Hals, aber prontoquicki. Eventuell rufe ich sie mal an. Vielleicht: „Hey, wie geht's? Lass ma’ treffen!“ (seine Begleiter fragend anschauend)

– Pullover: Fünfundzwanzig ist gut. Ruf den lieber an.

– Dude: (hält ihm sein Smartphone hin). Gute Gelegenheit. Zugreifen!

Leipzig (Deutschland), 21:14 Uhr

Zwei Trödler. Nachtflohmarkt. Modelleisenbahnen, Militaria, Pokémonkarten.

– Weisste! Hätt man sich damals hier, also früher, nach’er Wende, ‘n Haus geholt, da war das alles noch…

– …spottbillig. Ja.

– Also ‘ne Bude für, mal sagen, Zwanzschtausnd Maak…

– Gabs auch schon für weniger.

– Zwanzischtausnd. Nur mal angenomm’. Hättste heute bestimmt 'n Haufn Kohle.

– Bestimmt Hunnerttausend. Aber Euro!

– Oder Zweihundert. Nimmst du deine Drecksgriffel da weg, du Zonenwanst! Das kann ich vielleicht leidn, doo!

– Immer nur abgreifn, nie koofn.

– Alles Zigeunerpack in meine Augen. Greif’n sich, was nicht nietundnagelfest ist. Einmal nicht offgepasst, ruck-zuck Stand leer! Als würd das alles ihnen gehörn. Nich’ mit mir!

– Genau. Anner Ostsee solln übrigens welche auch Häuser verschenkt hamm.

– Wieso?

– Alte Leute. Wusstn nicht, was damit wern soll, später, wennse nimmer sind. Da hammse die verschenkt.

– Heute?

– Nee, damals. Heute vielleicht ooch.

– Hätt man zugreifn solln.

– Hätt man.