Mikrobi

Klagefall & Texas-Jim & Hulot

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Beitrag vom 11. März 2023 – 21:33 Uhr

Ich hatte seit 2010 den telegraph abonniert, aber heute waren die Gemeinsamkeiten endgültig aufgebraucht, wie man so schön sagt, als ob es eine Ehe wäre. Das Kündigungsschreiben liegt frankiert auf dem Fensterbrett neben der Tür. Bei der Gelegenheit bestelle ich auch gleich Abwärts ab. Es ist traurig, aber ich muss mir eingestehen, dass das nicht mehr meine Welt ist.

Beitrag vom 8. März 2023 – 15:42 Uhr

Einst haben wir das Netz dafür gemocht, daß es jedem "von uns" eine Stimme gab. Jeder konnte ein Weblog schreiben, jeder konnte es lesen. Es hat mir Freude gemacht, meine Gedanken vor der Welt ausbreiten können. Eine potentiell große Reichweite ohne jeden Filter, ohne Redaktion, ohne Gegenrede, ob von außen oder durch innere Reflektion. Schlußendlich wollten wir, wollte ich gelesen werden, verstanden werden, wollte mich an der Welt reiben, ohne damit zu rechnen, daß auch die Welt sich an mir reiben würde. Nun sind wir mit unseren Weblogs gealtert, das Netz hat alle und jeden erreicht und aufgesogen, indem es große Haufen gebildet hat. Die Gruppen sind gewachsen, sie sind feiner gegliedert, auch wenn mir ihre Abgrenzungen nicht immer klar werden, und sie gehen vor allem aufeinander los. Mußte man früher schon enormes Pech haben, um auf den zu treffen, der einen aus dem Pseudonym in die Öffentlichkeit zerrte, der einem unangenehm wurde, so ist es durch die schiere Masse der Teilnehmer heute der Normalfall. Was wir für uns gefunden haben, die Öffentlichkeit, die Redaktions- und Reflexionsfreiheit als Freiheiten von und zu, die Möglichkeiten des Spiels mit Schwurbel und Kryptik, haben nun alle gefunden. Es bleibt nicht viel, es bleiben uns die Flucht aus dem Netz, wo niemand zur aktiven Teilnahme gezwungen, wenn auch durch die Einfachheit des Daumentippens doch ermuntert wird, oder die Flucht in die langen Texte, ins Geschwurbel, zurück in die Kryptik, in der Hoffnung, daß die, die sich als Nutzer nicht beschimpft fühlen, nicht den Atem für die langen Texte aufbringen, nicht die Kraft für die Aufmerksamkeit. So könnte dies unsere Distinktion sein, auch wenn mir die Fremdwörtelei allzuoft auf den Zeiger geht, den sprichwörtlichen, unsere Abgrenzung also gegenüber denen, die wir als störend empfinden. Doch hat die kurze Geschichte dieses Gedankens bereits einen Haken - ich erinnere mich an einen, dessen Texte lang und voller Geist waren, streitbar ebenso wie strittig, und eben weil man ihn nicht verstand, haben sie ihn gepfählt, ihn am Gartenzaun stehend stammeln lassen, der er die Verkürzung als Entstellung nicht vertrug und vielleicht nicht vorhergesehen hatte, und ihn ausgelacht, als er in vollem Ernst zu ihnen gesagt hat, er komme doch von Tolstoi, von Homer und von Cervantes. Den letzten mußte ich nachschlagen, der Rest ist mir tatsächlich im Gedächtnis geblieben als Warnung von einem, der den neuen Takt nicht mitgehen konnte und zum Aussätzigen erklärt wurde. Streitbar, strittig, umstritten, blieb er am medialen Wegesrand liegen. Vielleicht bleibt uns nur, daß die Geschwindigkeit hoch genug ist, daß nach den fünfzehn Minuten Ruhm nur noch Zeit für wenige Minuten der Schande bleiben kann, bis die Meute weiterzieht. Allein nicht teilzunehmen an einer solchen, soll mein Ziel sein, mich mit keinem Verein einzulassen, mit keinem gemein zu machen, wie einst Reinhard Mey sang. Auch wenn sie unsichtbar sind, die Verbände und ihre Verbindungen, auch wenn man gemein gemacht wird mit jenen, mit denen man vielleicht allein die Sprache teilt. Ein Wort mag schon reichen, das man teilt, denn die Worte sind verbrannt, an ihre Stelle treten neue, die sie in unaufhörlichem Wortwasserfall auf uns prallen lassen, um zu richten die Lebenden und die Toten. Nein, das war woanders, und doch bleibt mir zuletzt nur die Flucht in den Scherz und die Hoffnung, nicht verstanden zu werden, nicht beachtet zu werden, im rasend schnellen Stiefelklirren nicht getroffen zu werden. Es liegt sich nicht so schlecht am Wegesrand, vielleicht, so dachte ich mir in dieser Woche ohne Nachrichten, ohne den Strom der schnellen Sätze und starken Urteile.

Beitrag vom 28. Februar 2023 – 14:26 Uhr

Ich habe diese Woche eine ganz nette Zeit damit verbracht, mich über einen Artikel in der Tagesschau zu mokieren, der das Oberbecken eines neuen Pumpspeicherwerks in Portugal als gigantisch beschrieb mit seinen vierzig Kubikmetern, denn das seien immerhin vierzigtausend Liter. Die Autorin war hin und weg, schrieb atemlos begeistert von den fast vierundzwanzig Stunden, die der Großraum Porto dadurch mit Ökostrom versorgt werden könne. In einer Bildunterschrift geriet sie vor Begeisterung mit den Einheiten durcheinander, sodaß durch die Turbinen des Kraftwerks einmal vierzigtausend Liter und ein andermal vierzigtausend Kubikmeter je Sekunde fließen sollten. Vierzig Kubikmeter, damit kann vermutlich jeder etwas anfangen, der schon einmal seinen Wasserzähler abgelesen oder sich für eine Badewanne interessiert hat. Und für einen Durchfluss dieser Menge, so albere ich andernorts herum, bräuchte es bei einer Fließgeschwindigkeit von zehn Metern je Sekunde ein Röhrchen von gerade einmal viertausend Metern Durchmesser - wer würde den fleißigen Wasserbauern in Portugal ein solches denn nicht zutrauen? Im Laufe des Tages wurde der Artikel mehrfach verschlimmbessert, es wurden also Zahlen ausgetauscht, ohne daß jemand diese oder deren Sinn verstanden hätte. Vierzigtausend Kubikmeter war das Oberbecken dann plötzlich groß, wogegen ich meine grobe Schätzung von zwölf Millionen Kubikmetern, ausgehend von einem Forschungsbericht, der Fallhöhe und gespeicherte elektrische Energiemenge nannte, stellte. Am späten Abend dann tauchten dreizehnkommasieben Kubikhektometer im Text auf, ganz ehrlich. Da hatte man wohl mehr Lust auf Pedanterie als auf Verständlichkeit, denn der Kubikhektometer ist zwar eine korrekte, aber die Million Kubikmeter vermutlich doch die deutlich gängigere Einheit. Beides ist übrigens gleich, und vielleicht hat sich doch jemand derart die Finger an diesem Artikel verbrannt, daß man auf weitere wilde Umrechnungen lieber verzichtete. Oder keine Lust mehr hatte, der Artikel war schließlich längst Stunden alt, wer wird denn das noch lesen, wen soll so eine Kleinigkeit schon kümmern, das ist doch sicher nur etwas für diese seltsamen Ingenieure, statt für die promovierte Geisteswissenschaftlerin, die am Sonntag auch noch anderes zu tun hat, als sich um ihre Niederschrift von gestern zu kümmern. Neuer Tag, neue Startseite, vielen Dank für Ihre Gebühren. Daß sie ganz nebenbei noch den guten Herrn Bernoulli zum Weinen brachte, als sie ganz selbstverständlich die kinetische Energie in der Turbine wandeln wollte, und den Herrn Euler gleich dazu, nun ja. Ein kleiner Aufstand gegen das Patriarchat, vielleicht, und dadurch zwar nicht richtiger, aber immerhin zur guten Tat veredelt. Leider lassen sich die oben erwähnten Gebühren für derartigen Unsinn noch nicht durch das Argument begleichen, daß eine theoretische Empfangsmöglichkeit anstelle einer tatsächlichen Zahlung doch ausreichend sein müsste. Aber vermutlich müssen wir froh sein, daß wir nicht noch einen Mindestkonsum an nachrichtlichem Blödsinn nachweisen müssen, um die Tätigkeit der Anstalten zu rechtfertigen.

Beitrag vom 23. Februar 2023 – 12:24 Uhr

Obwohl das Licht der kleinen Glühbirne an der Wand nicht ausgeht, ist das Treppenhaus dunkel wie ein schmuckloses Columbarium. Granitene Stufen, hölzerne Handläufe, ein Aushangbrett, drei Stühle, Briefkästen (Keine Werbung oder Prospekte!). Schwesternbatallione pendeln zwischen Praxis und Testzimmer hin und her. Wir können uns im Grunde nicht beschweren. Der Wartende neben mir schnauft angestrengt durch seine Maske, als ringe er dem Treppenhaus jeden Atemzug in einer umfassenden Zangenbewegung seiner Bronchien ab. Schweißperlen auf der Glatze. Ab und zu husten und schniefen wir um die Wette. Endstand: unentschieden. Meine Uhr ist stehen geblieben. Batterie (oder wie es hier heißt Battrie, vergiss das niemals, wie das hier heißt!) alle. Aber ich beschwere mich nicht. Auf seinem Smartphone reihen sich großlettrige Überschriften aneinander, scheinbar endlos rollt er durch die digital gewordenen Empörungen dieser Welt. Weiß auf Rot, Rot auf Schwarz, Gelb auf Schwarz. Mir ist warm, denn obschon das Treppenhaus kalt ist, steigt in mir das Fieber wieder hoch. Aber was soll man machen. Wozu sollte man sich beschweren und weshalb. Ein bereits zu Ende Behandelter erhält seine Unterlagen, einen Code, den Hinweis, dass das, was er außerdem noch wissen müsse, da und dort stehe. Er bedankt sich fast beschwingt mit einem Merci verabschiedet sich naturgemäß bei uns mit Auf Wiedersehen und tanzt an den Wartenden vorbei über das graue Granit ins graue Tageslicht zurück. Er wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen. Als ich wieder rauskomme, ist mein Stuhl weg und ich lehne an der Wand. Beschweren sollte man sich. Ach was.

(Wenn diese Krankheit überstanden ist, war ich fast zwei Monate nicht mehr im Bureau.)

Beitrag vom 21. Februar 2023 – 15:52 Uhr

Ich bekam heute einen Brief von einer Hochschule. Nicht der erste Brief, den ich bekomme, und auch nicht der erste Brief von einer Hochschule. Allerdings, und das ließ mich in der Mittagspause singend den Feldweg zu den Eltern entlangradeln, der erste Brief überhaupt mit meiner neuen Berufs- und Amtsbezeichnung. Ich bin sehr aufgeregt und lache mit der Sonne um die Wette.


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