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Ich sehe das Gesicht des Heizers. Lippenbewegungen. Wörterhall im engen Badezimmer. Grimassen – es bleibt beim Versuch. Gescheiterter Probelauf der Masken für die kommende Nachteinsamkeit. Selbstbestätigung eines Zerknirschten.
Das Gesicht schaut immer nur fragend. Niemals erklingen Antwort oder Stimme, woher auch. Es ist glatt, kalt und kaum noch lebendig, beinahe genauso wie die Toten, im Arbeitszimmerfriedhof nebenan. Reihenweise verstauben sie dort, zischeln sich ihre Wahrheiten zu, tauchen alles in ihre Farben: Vergilbte Aktenseiten. Fernes Dichterblau. Schwarz gedrucktes Scheitern erinnert sich an rotes Fleisch, goldene Getränke und die namenlose Farbe der Ratlosigkeit als Loch in der Mitte. Als seien wir auf der Welt, um ihre Leinwand zu sein.
Rasierschaum, wo später Ruß und Resignation die Haut falten. Wasserdampf zwischen mir und dem Gesicht, das für die Nachtschicht eingeteilt wurde. Als das Licht ausgeht, bleibe ich allein zurück und spiegele nur noch Finsternis.
Unser Alltag besteht aus Stein und Metall, kühl und scharfkantig. Wir leben in einer Welt aus Augen und alle glotzen ängstlich durch ihre Mauerritzen. Aber sie sehen uns nicht. Starren über uns hinweg. Wir hingegen warten, dass der letzte Rost ihre Tretmühlen zur Besinnung bringt. Ihr Frost die Steine zu Stränden macht. Jeden verdammten Tag.
Wir: zwei abgenagte, rund gelutschte Spielwürfel, von der Vergangenheit durch unzählige Runden „Monopoly“ gejagt. Du harzgolden, ich moosgrün. Kaum noch benutzt. Von irgendwem in dieselbe Spielekiste geramscht. Wie im Gemeinschaftsraum eines lebensstillen Altersheims.
Was keiner weiß: Wirft man uns gemeinsam, ergeben wir eine 13. Immer. Aber das wissen nur wir. Nennen es Liebe. Doch die Leute spielen nicht mehr. Wollen ja nur noch gewinnen. Ohne würfeln.
Vielleicht lässt sich diese Partie gar nicht besser spielen. Nur anders. Die 13 gewinnt. Immer.
Mit Lichtgeschwindigkeit entschied sich die Elektronenwelle für einen Weg, schwappte durch hauchdünne Leitungen, allein geräuschlos, in der Menge als fern summende Brandung, bis sie auf Widerstände und Kondensatoren traf, die sie aufhielten, zerhackten, aufstauten. Magnetische Felder kippten von Null auf Eins und umgekehrt. Ein Tanz aus Logik und Zwangsläufigkeit, den ein wissendes Gehirn choreografiert hatte und zu dem ein irrsinniges Metronom den Takt vorgab. Mechanische Urteile der Naturgesetze. Geruchlose Zufälle, dem menschlichen Geist verschlossene Ideen.
Programme signalisierten sich einander Bereitschaft für ihre Ausgaben, Inhalte verschmolzen mit Befehlen zu Formen, Wörtern und Absätzen hinauf in Victors Einsamkeit. Hochauflösende Pixel strahlten viereckige Antworten ab:
„Du solltest sie verlassen. Sie ist nicht gut für Dich. Hast Du nicht verdient. Pfeif drauf. Mach Dich vom Acker.“
Die KI hatte geliefert. Wer fragt, dachte Victor, bekommt Antworten. Auch wenn er sie schon kennt.