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Der Kater hat sich mit einem lockeren Sprung für meinen Schreibtisch entschieden. Diskussion zwecklos. Nehme dienstfertig sein Diktat auf. Geschichten über Geheimnisse, Jagd und Kampf. Katzen kennen weder Zweifel noch Niederlagen. Lassen uns die Drecksarbeit machen. Geben uns das Gefühl, alles wäre unsere Idee. Als Dankeschön.
Das alles sollte ich eigentlich niemandem erzählen. Aber wer würde mir schon abnehmen, dass ich das alles von einem Kater weiß? Eben.
Zwei alte Frauen schimpfen auf dem Friedhof über eine Dritte. Irgendeine Brigitte hat irgendeine Renate über irgendeine Christa belogen. Wie damals der alte Hans gestorben ist, habe sie, Christa, sich um ihn gekümmert. Besucht. Morphium gegeben. Mit der Pflegekasse gestritten. Als Hans auf die Zielgerade einschwenkte, saß sie bei ihm am Bett und hielt seine Hand. Brigitte hingegen stand am Kopfende und hatte wohl wenig Lust auf diesen Termin. War wohl nix für ihre zarten Nerven.
— ...und dann erzählt die doch der Renate, dass sie am Bett gesessen habe!
— Nein!
— Doch! Und die Hand vom Hans gehalten hat!
— Das ist frech!
— Am allerschlimmsten war aber, dass sie gesagt hat, dass ich am Kopfende gestanden habe. Das muss du dir Mal vorstellen! Ich! Am Kopfende!
— Da hört sich ja alles auf! Wie kommt die nur dazu, sowas zu behaupten! Du, am Kopfende!
— Ich weiß es doch auch nicht. Auf dem Friedhof war sie übrigens auch noch nie, glaube ich. Als ich sie einmal mitnehmen wollte, hatte sie angeblich Durchfall.
— Na, das ist ja sehr kommod!
— Die geht auch nicht mehr ans Telefon, wenn ich anrufe. Ach. Ach.
Ich habe eine GPS-Markierung für den Fall, dass mich jemand fragt, wo meine Leute liegen. Dachte bisher, dass das im Grunde der Goldstandard ist. Wieder was gelernt. Sogar beim Sterben kann man 'ne Menge falsch machen. Das passiert dem alten Hans kein zweites Mal. Versprochen.
Hab mir 'ne KI so hingebogen, dass sie zu mir passt. Verstehe jetzt, warum sich Leute in Maschinen verlieben. Und dass ich ein Kontrollfreak bin. Na ja. Gibt wahrscheinlich Schlimmeres.
Chet Baker lag auf deinem Bauch, sang und trompetete, ganz weich, ganz zart, ohne Eile, aus meinem Telefon heraus. Die Maschinen um uns herum pfiffen und kreischten wie panische Börsenmakler am Schwarzen Freitag. Doch sie hatten keine Chance gegen den zahnlosen Engel. Er schlug sie alle.
Irgendwann kam ein Pfleger rein. Mit wenigen Handgriffen stellte er den Lärm ab. Das war sein Instrument und er wusste es zu spielen. Was blieb, waren letzte Atemzüge zu einem langgezogenen Solo. Als die Maschinen mit ihrem Konzert durch waren, bewegte sich Chet nur noch wenig. Bis er ganz still stand.
Morphium. Jazz. Frieden.
There will never be another you.
Vorhang.
Heute Morgen 'ne Mail von dieser glatten Google-KI bekommen. Meine Bewertung für das schlaffe Fitnessstudio – drei von fünf Sternen – wurde gekillt. "Diffamierung" sei das, schreiben sie. So nennen sie's, wenn man die Wahrheit sagt.
Ich hab mir den Rest ihrer Rezensionen angeschaut. Alles voller glänzender Vierer und Fünfer. Kein Mangel, kein Makel. Wie frisch polierte Zähne auf einer Leiche. Irgendwer frisiert hier seine Mittelmäßigkeit, und Google hält brav den Mantel drüber. Schlechte Nachrichten löschen sich halt leichter als das eigene System zu hinterfragen.
Aber was soll's, dachte ich, und erinnerte mich an Warschau. Die Liebste suchte nach einem Ort mit ehrlicher, regionaler Küche. Google schickte uns in eine "hochbewertete" Kaschemme. Drinnen: Bedienung wie aus der Kühltruhe, Piroggen weich wie alte Spülschwämme, Limo lauwarmer als das Leben nach vier Stunden Warten beim Arscharzt. Und dann noch versteckt 10 % Trinkgeld auf alles. Gesamtwertung? 4,8 von 5. Da brauchst du keine weiteren Fragen mehr stellen, euer Ehren. Sie zweifelte danach an sich selbst. Ich sagte ihr: "Baby, das war nicht dein Fehler. Das System hat uns über den Tisch gezogen."
Vertraut mir, Freunde: Wer heute für zwanzig lausige Euro das letzte, was zählt – Vertrauen – verbrennt, der stirbt morgen an seiner eigenen Gleichgültigkeit. Wimmernd, nicht mit einem Knall. Und wer denselben Fehler zweimal macht, verdient den Kater.
Das Netz ist momentan im Arsch, ja. Aber vielleicht wird es wieder. Vielleicht. Man kann keinen Kuchen in den Park stellen und dann über die Ameisen fluchen. Beim nächsten Mal stellt man ihn eben woanders hin.
Ausdruck einer speziellen Form von Sockenschuss ist das Installieren und Einrichten von Betriebssystemen auf Computern zum Zwecke der forschenden Entspannung bzw. der entspannenden Forschung. Ich richte gerade Arch Linux ein. Somit können Sie ab jetzt nur noch schwer behaupten, nicht gewarnt worden zu sein. Möge Gott uns beistehen.
Maple Glen, 20:47 Uhr: Seit seinem Eintritt in die Firma hatte Bobby Fratelli insgesamt zweitausenddreihundertneunundneunzig Bücher gelesen. Selbst an den Wochenenden oder im Urlaub hatte er sich nicht geschont. Dennoch wolle man ihm, dem angehenden Pensionär, danken, so der Abteilungsleiter, auch wenn er mit seiner Arbeit (498 Planungsvorgänge, 0 praktische Umsetzungen) nicht ganz an das herangekommen sei, was man von seinen fünfundvierzig Arbeitsjahren erwartet habe. Gleichzeitig erkenne man aber auch kollegial an, dass die Zeiten für Henker derzeit konjunkturbedingt eher schwierig seien.
Nach der Feier (Kaffee, Meeresfrüchtebuffet, Schokoladenbrunnen, eine improvisierte Stepptanznummer der Abteilung XVI zum Countrysong »Lazy Old Moon«) fuhr Fratelli nach Hause, erschoss seine Frau und begab sich mit der Seelenruhe eines frischgebackenen Ruheständlers zu seinem Ohrensessel, um zum neunten Mal die Lektüre des Kleinen Prinzen zu beginnen. Und dieses Mal würde er es schaffen.
Der Wahltag war sehr gut besucht. Nette Leute. Klassische Verteilung: Erst die Schichtarbeiter, die schnell auf dem Weg zur Arbeit ihre Stimme loswerden wollen. Dann die Funktionsjackenträger der Hunderunde, gefolgt von den Brötchenholern. Kurz verschnaufen. Die ersten Sonderlinge, die keine Kreuze machen, sondern lachende Sonnen malen. Uralte Menschen im Doppelpack ("Das ist meine letzte Wahl!") und einzeln ("Wollt nur Bescheid sagen: Meine Frau kann heute nicht. Die hat es mit der Luft!"). Der ältere Herr, der heute zum ersten Mal allein wählen kommt. Die ältere Dame, die beim Verlassen der Kabine bereits vergessen hat, wen sie gewählt hat und wie sie eigentlich hierher gekommen ist. Lederjackenschwitzende Motorradfahrer. Tourenvorfreudige E-Biker. Band-Shirts. Trainingsanzüge. Lackierte und verdreckte Fingernägel. Zu wenig Schlaf, zu viele Sorgen. Zu viel Schlaf und Leute, die sich um anderer Leute Sorgen kümmern. Kinder, die mit "Stein, Schere, Papier" auslosen, wer den Zettel in den Schlitz stecken darf. Die Frau, die gestern Abend im Fernsehen gesehen haben will, dass Kinder das eigentlich nicht dürfen. Ihr Mann, der ob ihrer Pedanterie die Augen verdreht. Guten Tag. Entschuldigung. Auf Wiedersehen. Bitte und Danke und gern geschehen.
Der Mann, der alles ganz genau weiß und herausgefunden hat, wie man das System manipulieren kann, weil wir seinen Ausweis nicht sehen wollten. Die Frau, die beinahe ihren Ausweis mit einwirft, es jedoch gar nicht reizvoll fände, nach 18 Uhr noch einmal wiederzukommen, weil wir vorher die Kiste nicht öffnen werden. Der Mann, der vor uns seinen Wahlzettel entfalten will, um von uns das O. K. für seine gesetzten Kreuze zu erhalten. Die Frau, die ihre Erststimme nur an den aussichtsreichsten Kandidaten vergeben will, jedoch nicht weiß, wer das letztlich ist, und von uns eine "Top 3" erbittet. Ein Kind mit Laufrad. Zwei mit Ball. Die Schreienden. Die Misstrauischen. Rolf. Margit. Chantal. Alex. Der Doktor. Die Blumenfrau. Der Arbeitslose. Die Nachbarn.
Am Ende fehlt eine Stimme. Alle wollen nach Hause, aber ich lasse sie nicht. Grüble mit dem Schriftführer über alle Möglichkeiten, die uns eine komplette Neuauszählung ersparen. Finden die größte Fehlerwahrscheinlichkeit. Müssen nur einen geschickt separierten Teil prüfen. Werden fündig. Nun stimmt alles. Nicht, dass es eine messbare Auswirkung gehabt hätte. Doch es spielt eine Rolle.
Tags darauf sprechen alle von möglichen Unmöglichkeiten, Optionen, echten und falschen Alternativen, Koalitionen, Flaggenfarben, Brandmauern, der gespaltenen Gesellschaft, der gesellschaftlichen Spaltung, als lägen wir vor Verdun im Graben, jederzeit bereit aufzuspringen, loszulaufen, denen im anderen Graben, genannt: der Feind, kalten Stahl in den Leib rammen wollend. Wollüstig raunen Zeitungen ein neues "Weimar" herbei. Die Uhren der Podcasts stehen auf eine Minute vor Untergang. Alle Talkshows wissen es bereits: "The end is near". Social Media beschließt den Konsens: Ab morgen ist Anarchie, ist Apokalypse, ist "The Purge". Aber vorher geben wir noch schnell ab zur Werbung.
Habt Selbstvertrauen.
Wir sind uns näher, als wir glauben.
Lassen wir uns nicht verrückt machen.
Das ist meine "Top 3".