Mikrobi

Klagefall & Texas-Jim & Hulot

Liste der Blogbeiträge

Der Knopf

Der blonde Aufseher schob mich grob in das Büro seines Vorgesetzten. Hatte sich ein Veilchen eingefangen, das nun im Neonlicht schillerte. Das Schubsen war die Quittung dafür, dass ich es ihm vermacht hatte. Er ließ seinen Frust an der grauen Zimmertür aus, die er scheppernd hinter mir zuwarf, als hätte er auch mit ihr schon Ärger gehabt.

Ich sah mich um. Macht und Geschmack waren noch nie Freunde. Das Büro sah wie sein Besitzer aus: Nüchtern, funktional, abwaschbar. Keine Möbel, Geräusche, Erinnerungen, Bilder, Blumen. Einfach nur vier kahle, weiße Wände. Ein typisches Direktionszimmer, das jeden Gast kleiner machen sollte, als er war. Der Direktor trug einen melancholischen Vollbart und wirkte damit wie ein isländischer Komponist. Wie die Aufseher trug auch er einen weißen Anzug. Überhaupt war man hier sehr sparsam mit Farbe. Das Veilchen war der einzige Tupfer, den ich hier zu Gesicht bekommen hatte.

Als er mich bemerkte, wies er wortlos auf einen Stuhl. Das einzige Stück im Raum, das verriet, dass er nicht immer allein war. Ich lehnte ebenso wortlos ab.

– Oha. Was ist denn mit Ihnen passiert? Sie sehen ja furchtbar aus.

– Gewöhnen Sie sich dran. Wird wahrscheinlich bald noch schlimmer aussehen. Schauen Sie sich Ihre Leute an. Hab ihnen eine Menge Gründe geliefert, mit mir nachher weiterzuspielen. Und Sie sind?

– Verwaltungsdirektor Dr. Peter Etrus. Spaß beiseite, Herr K., wir haben Wichtiges zu besprechen. Sie wissen, weshalb Sie hier sind?

– Eventuell hatte ich gestern etwas zu viel Leben in meinen Drinks. Sagen Sie es mir.

Er blätterte in meiner Akte, als hätte er seinen Faden verloren. Als er ihn wiederfand, präsentierten mir ausdruckslose Augen seine Abscheu und sein Mund die Rechnung für gestern.

– Seit der ersten Sekunde in unserer Institution verstoßen Sie gegen ziemlich jede Regel, die es hier und im Allgemeinen gibt. Kurz: Sie waren ungehörig. Das können wir nicht dulden. Die Konsequenzen wurden Ihnen durch meine Mitarbeiter offeriert. Sie sollten sich zusammenreißen. Haben Sie bedauerlicherweise nicht getan.

Wo er Recht hat, hat er Recht, dachte ich mir, als ich ihm beim Schließen der Akte zusah. Das gab ihm und seinen Kaspern aber noch lange keinen Freibrief, mich wie eine Billardkugel herumzustoßen.

– Kann sein, dass einer Ihrer Leute etwas von Strafen erzählt hat. Aber haben Sie sich die Jungs mal angesehen? Die biegen doch keine Nudel krumm. Steht einer von denen vor Ihnen und hebt den Finger, ist das doch nur lächerlich. Wer soll das denn bitte ernst nehmen?

Mein Vortrag hinterließ keinen Kratzer in seiner Fassade. Ohne Antwort verstrich die Zeit. Er konnte es sich leisten, dass sich sein hässliches Büro bis unter den keuchenden Deckenventilator mit Stille füllte. Ich sollte das Gefühl bekommen, eine Fliege zu sein, der man mit der Klatsche droht. Es funktionierte.

– Ich würde es begrüßen, wenn Sie meine Mitarbeiter nicht herabwürdigen. Es handelt sich dabei um sehr engagierte Leute, die schon ganz andere Kaliber auf den rechten Pfad gebracht haben, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie, Herr K., stellen keine Herausforderung dar. Unsere Befugnisse reichen weiter, als Sie sich vorstellen können. Vergessen Sie nicht, wo wir uns hier befinden.

Der Direktor lehnte sich zurück und schob sein Kinn vor, um erneut auf den Stuhl zu zeigen. Ich blieb, wo ich war. Soll sein Kinn gerne ein zweites Mal vorschieben, dachte ich mir. Habe noch ein paar Gramm Eisen in der Faust für deinen Bart übrig.

– Wo ich hier bin? Ich stehe hier in einer gefliesten Schuhschachtel. Sie und ihre Jungs bieten mir irgendwas zwischen Stubenarrest und ewiger Höllenqual an. Unterscheidet sich genau genommen nicht von der Drohung eines bewaffneten Gangsters in einer Seitenstraße. Und ich bin in dem Spiel der, den es zu bestrafen gilt? Der verkommene Schurke?

– Es ist unerheblich, wie Sie das sehen. Sie können sich nicht schwerer machen, als Sie sind. Sie können nicht die Zeit anhalten, nur weil Sie alle Uhren verstecken. Sie können nicht fliegen, wenn Sie sich auf den Boden werfen, nur daneben.

– Aber ich kann es probieren. Nennt sich Freiheit. Könnte was für Sie und den Stock in Ihrem Hintern sein.

Er schlug noch einmal meine Akte auf, öffnete die Kappe seines Federhalters und kritzelte etwas hinein, das noch zu fehlen schien.

– Jetzt werden Sie vulgär. Wir existieren in einer Wahrheit, die wir nur akzeptieren können. Nichts anderes bleibt uns übrig. Und nun nehmen Sie bitte Platz. Das ist nun mein letztes Wort. Bevor Ihnen nichts anderes übrig bleibt.

– Wenn Sie mich so nett bitten. Aber gewöhnen Sie sich das besser ab. Bestimmer sein macht dünnes Haar und formlosen Stuhl.

Ich setzte mich. Der Direktor schaute zu mir und sein Gesicht wechselte von Totenstarre zu Amtshandlung. Seine Hand drückte einen gelben Knopf auf seinem Schreibtisch und er begann einem antiken Mikrofon aus meiner Akte vorzulesen.

– Störung des Betriebsfriedens in Tateinheit mit Uneinsichtigkeit, Undankbarkeit und Unhöflichkeit. Herr K. lässt es an Ehrgeiz fehlen, sich den Gepflogenheiten seiner Umgebung anzupassen. Er neigt dazu, Autoritäten mit physischer Präsenz in Frage zu stellen und schreckt auch nach Androhung schärfster Konsequenzen nicht davor zurück, ein Mindestmaß Akzeptanz den über ihn verhängten Anordnungen wenigstens anzudeuten.

Kaum, dass er den gelben Knopf losgelassen hat, drückte er einen roten. Blitze. Dann Stille. Als ich die Augen aufschlug, brannte mir ätzend schwarzer Qualm in den Lungen. Flammen. Geschrei. Blut lief mir über die Stirn und meine Nase fühlte sich an, als hätte sie sich in meinem Gesicht verlaufen und steckte nun an der falschen Stelle fest. Ich saß vor einem Baum, die zerknautschte Karosse eines Kleinwagens um mich herum. Der Krawall eines Trennschleifers neben meinem Kopf – oder darin? Alles verschwamm. Wahrscheinlich war es ein Feuerwehrmann, der mich auf die Wiese zerrte und „Glück gehabt, was?“ fragte.

Meinetwegen.

Aushang vom digitalen Hausmeister

  1. Kontakt
    Ist jetzt auch für Messenger-Nutzer möglich, wenn's mal schnell gehen soll. Hulot nutzt beispielsweise Signal. Die anderen schieben nach, wenn sie soweit sind. Oder wollen. Kein Stress.

  2. Feedback
    Danke an alle, die ab und zu mal ein kleines Licht rüber blinkern. Bedeutet uns allen was. Hoffen, dass wir euch nicht langweilen. Und wenn doch: Wir haben auch noch morgen auf.

  3. Allgemein
    »Wir sind alle aus dem gleichen Teig geknetet, aber nicht im gleichen Ofen gebacken.« Jüdisches Sprichwort. Wollen wir es so machen? Cool.

  4. Das Allerwichtigste
    Gehen Sie hierher. Bevor Sie etwas anderes tun. Und freuen Sie sich mit einem der besten Typen. Jetzt!

Dankewarallessoweit.

Take me home, country road

Jeder von uns wusste, wie viele Tage wir noch zu buckeln hatten, aber sie wurden weder kürzer noch weniger. Der Grundwehrdienst würde natürlich niemals länger als die gesetzlich vorgeschriebene Zeit dauern, so sehr uns die Ausbilder auch mit einem Durchfallen bei der Rekrutenprüfung drohten und mit ihren schwieligen Pfoten unsere Lebenszeit zerdrückten. Doch wir trauten den Scheißern alles zu. Umso wichtiger war uns, dass wir die Fliege machen konnten, sobald sich die Gelegenheit bot. Egal, in welchem Lokus wir morgens wieder wach würden. Hauptsache weg hier.

Wir: Hegele aus Heilbronn. Badisch, unverständlich, unzerbrechlich. Herwegh, Arme so dick wie Beine, der Rest war Herz. Heiko, die Verzweiflung des Nordens. Wollte die Abbruchfirma seines Alten übernehmen. Kam nie dazu, weil sich seine Karre irgendwann um einen Baum wickeln würde. Und ich, natural born Ossi. Zu vielen Folgen M*A*S*H an der Stelle im Hirn, wo andere ihren Verstand aufbewahrten.

Die Kreiswehrersatzämter hatten uns zur selben Zeit hierher gespuckt. Keiner von uns war clever genug gewesen, dem Zirkus ‘ne Nase zu drehen. Jedem fehlte die Härte, die es brauchte, um etwas wirklich Sinnvolles für eine Gesellschaft zu tun. Eine, die dachte, alles kaufen zu können. Hatten nur unsere Großmäuligkeit anzubieten. Aber dafür wollte niemand was springen lassen. Hielten uns für unsterblich. Wie alle Feiglinge hinterm Baum.

Also versuchten wir das Beste. Hegele machte sein Leben lang schon jeden Mist mit, weil er einer war, der keine Angst vor Stumpfsinn hatte. Herwegh folgte ungerührt jeder Anweisung, solange man ihn nicht anbrüllte. Heiko wollte sich und der Welt beweisen, dass er mehr als nur ein Sohn war. Und mich hatte ein Anfall von geistiger Umnachtung in die Uniform gebracht. Nach zwei Minuten in der Kaserne hatte ich die Schnauze voll – und noch zehn Monate vor mir. Schnell lernten wir, dass wir alle gleich dämlich waren, wenn auch jeder auf seine Art ein Spezialist. Doch zusammen waren wir eine ganz spezielle militärische Einheit. Eine für die es weder Namen noch Verwendung gab. Vielleicht sogar Freunde.

Ich fahre uns alle in meinem Trabant Baujahr „Kalter Krieg“ durch die Gegend. „Hessisches Bergland“ heißt der eingetrocknete Fleck in der Unterhose Gottes, auf dem wir unserer Pflicht nachkamen. Hier herrscht immer die Trägheit eines Mittwochabends, der nie aufhören will. „Tokio Deluxe“ nennt sich die Disco, die wir uns ausgesucht hatten. Viel zu lautes Technowummern, als Musik getarnt, dreht die Luft im Raum auf links. Die Dorfjugend, alle miteinander verwandt und vermögend, zappelt schon vorgeglüht im Strobofeuer. Ganztägig Suff zum halben Preis. Jemand hielt japanisches Interieur und Monoblockstühle für geschmackvoll. Wahrscheinlich derjenige, der hier auch die Musik aussucht. Ermäßigung für Bundeswehrangehörige. Es gibt nichts Erbärmlicheres. Für uns wird es für ein paar Stunden zur Rettungsinsel.

Hegele reibt sich seine gestempelten Hände und schwärmt davon, hier mal so richtig einen wegzustecken. Um seinen Hals baumelt heute statt Hundemarke seine Tigerente. Geschenk einer Freundin, katholisches Jugendlager, lange her, unbedeutend jetzt. Glaubt er. Sehen die Mädels im „Tokio“ anders. Halten ihn für leicht debil und für den Rest des Abends auf Abstand. Für Herwegh läuft alles, was wir tun, in Zeitlupe ab. Biergrinsend schaut er unserem Treiben zu. Als einer seine Gläser abräumen will, eskaliert die Situation. Sein Lid flattert für eine Sekunde, während er ein langgezogenes „Moment“ brummt. Wir wissen Bescheid: Gleich gibt’s Späne. Aber der Kellner nimmt nicht nur ein Glas weg, sondern stellt auch ein neues hin. Ganz vorsichtig, die zweihundert Pfund seines Gegenübers immer im Blick. Dazu ein bombenentschärfendes Italienergrinsen, dritte Generation. Situation gerettet. Wir sind nicht die ersten Soldaten-Imitatoren in seiner Kaschemme. Heiko schleppt nach einer halben Stunde die erste Landschönheit aufs Klo ab. Kurz darauf ist er wieder bei uns und pumpt sich 20 Mark, damit er die Dame angemessen einladen kann, was aber eigentlich bezahlen heißen müsste. Reiben wir ihm unter die Nase. Interessiert ihn nicht. Belustigt uns. Ignoriert er. Beneiden wir.

Später am Abend machen wir auf ausgelassen, so gut das eben an einem Mittwochabend geht. Je lauter wir singen, desto ferner ist das Gebrüll der Zuhälter, sadistischen Drogendealer und Kampfhundezüchter mit Wehrmachts-Fetisch, die als Vorgesetzte und Ausbilder unsere Tage mit Füßen traten. Keiner singt Take me home, country road! lauter als Hegele. Herwegh pennt vor einer Box bei 120 Dezibel. Heiko lässt das berghessische Rotlicht leuchten. Ich hatte eine Freundin und genügend Schiss, es doch nicht einmal zu versuchen.

Und uns allen gab man Waffen in die Hand. War eure Entscheidung.