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Weezer in Berlin. Um 19 Uhr stehen wir in der Columbiahalle, um 20 Uhr kommt die Vorband, um 21 Uhr betreten Weezer die Bühne. Der Saal ist mit dem ersten Gitarrenriff in Bewegung und wird nicht wieder zur Ruhe kommen. Um mich herum ein erstaunlich junges Publikum. Die Band ist über 30 Jahre alt, aber wenn es keine Gitarrenbands mehr gibt, müssen die Kids eben zu den alten Säcken gehen. A. und T. toben in der Moshpit herum. Ich denke an meine Knie und halte mich zwei Reihen dahinter auf. Ich bin das Hamburger Gitter für die Leute in meinem Rücken. Ab und zu weht ein kühler Wind durch die Halle, dann versuche ich zu atmen. Wir machen Spaß für euch, ruft Rivers Cuomo mit seiner traurigen Stimme von der Bühne und was soll dagegen schon einzuwenden sein. Die Band hat ein unfassbares Tempo. 23 Songs in 90 Minuten, Buddy Holly kommt ganz am Ende, dann humpeln alle fix und fertig und glücklich nach draußen.
In der Straßenbahn nach Grünau. Mitte der Woche. Zu früh für die Nacht und zu spät, um noch irgendwem nützlich zu sein.
Ganz am Ende sitzt eine junge Frau und spielt auf ihrem Handy. Neben ihr die Tochter, quengelnd, Süßigkeiten lutschend. Vor ihr der Sohn, laut Lieder aus dem Sandmännchen singend. Sie unterhalten sich über Chips und Dips.
Die junge Frau ist sehr konzentriert. Das Mädchen tritt sie. Störung beim Endgegner. Rüffel. Der Sohn singt lauter. Alle schmunzeln. Anschiss. Benehmen, jetzt!
Vor uns sitzt ein junger Mann mit offenen Beinen, daneben eine alte Frau in Synthetik, schwitzend, stinkend, beide, alles hier. Regenwasser. Scheiße am Schuh. Altes Bier. Hoffnung auf verschwitzte Laken, alle für sich.
Der Junge will Chili-Chips, die Tochter Käse. Die junge Frau hat die Buchstaben H-A-T-E auf ihren Fingern stehen, auf ihrem Handrücken ein tätowiertes Auge. Über ihrer linken Brust steht »Wir werden dich immer lieb haben, deine Mami und dein Papi«, Schreibschrift, blau, verschnörkelt. Nein, es gibt nur einen Dip für jeden und jetzt Klappe halten!
Der Tanz beginnt: Die offenen Beine stehen auf, rempeln mich an, treten mir in die Seite. Ich jaule auf. Die Kinder werden lauter. Der Mittwoch ist vergessen. Jetzt ist Judgement Day. Schwarzenegger Krummbein boxt gegen die Scheibe und fragt, ob jemand was aufs Maul will? Los Buddy: Angst runterschlucken. Rücken gerade. Pupillen weit. Atmen nicht vergessen.
Position: Gewicht auf dem vorderen Bein. Anfängerfehler. Er holt aus, will einen Schwinger setzen, muss sich nach vorne lehnen. Buddy lehnt sich einfach nur zurück. Guter Junge, hat aufgepasst. Treffe ihn an der Wade. Er fällt wie ein alter Schornstein und rollt einem Buckligen direkt vor die Füße, der gerade die Tür zum Einsteigen geöffnet hat.
Wir rennen zur nächsten Tür. Ich springe mit ihm aus der Tür, verheddere mich mit meiner Leine fast in der einer anderen Hündin. Zusammen rennen wir, lachend, bellend. Unsere Nacht. Schnelle Beine sind immer besser als schnelle Hände, hat dein Vater immer gesagt. Sonst nicht viel. Aber für heute hat’s gereicht, Buddy.
Die junge Frau schafft einen Highscore zum Preis einer verpassten Haltestelle. Der Bucklige tritt nach, genussvoll. Synthetik schüttelt bestimmt immer noch ihren Kopf. Was bleibt, ist ein leeres Bonbonpapier. Macht euch die Erde untertan.
Für Thomas Bernhard
Im Hotel A., in welchem wir immer um diese Jahreszeit unseren Nachmittagskaffee einnahmen, und dass sich seit mehreren Generationen im Besitz der Familie M. befindet, ihres Zeichens alte Schweizer Kriegsgewinnler, die sich dennoch seit je her etwas auf ihre Neutralität einbilden, aber hinter unangenehmen Gästen immer Gesichter machten, trafen wir von Zeit zu Zeit Professor R., wie immer versunken in einen Stapel von Zeitungen, besser gesagt den Feuilletons, hinter denen sein rotgesichtiger Kopf nur selten, und wenn, dann nur schüttelnd auftauchte.
Da die hiesigen Zeitungen, besser gesagt die Feuilletons, in dieser Jahreszeit naturgemäß wenig zu berichten hatten, war R. und sein rotes Gesicht häufiger zu Gast an unserem Tisch, was einerseits für Erheiterung, andererseits für Beklemmung sorgte, je nachdem wie der Professor den Konsum seiner Zeitungen, besser gesagt der Feuilletons, verkraftete.
Er lese sehr viel Zeitung, besser gesagt die Feuilletons, doch habe er selber nie ein Buch bis zu Ende gelesen, dozierte er des Öfteren, man benötige ja auch nicht den Überschuss von tausend Seiten, wenn man nur die ersten zwei und die allerletzte intensiv genug lese; dabei betonte er das Wort intensiv derart über, dass am Ende nicht klar war, aus welcher Sprache es anfänglich zu stammen schien: Innn-tennn-sieee-f!
Einmal fragten wir ihn, ob er denn verheiratet sei, was er aber mit der Begründung verneinte, dass es sich nicht lohne, sein kurzes Leben an einen Menschen zu ketten, zumal es ihm, Professor an der Akademie (A-ka-de-miiiiie!) kaum vergönnt sein würde, eben diesen Menschen so intensiv (Innn-tennn-sieee-f!) kennen zu lernen, wie er sich das im Grunde seines weichen Herzens wünsche.
Zwar könne er sich die ersten Jahre der Frau mühelos zusammentragen, aufbereiten, aufs Wesentliche beschränkt und komprimiert vortragen lassen, doch, meinte er, habe er einfach nicht die Zeit, bis auf die letzte Seite zu warten, und wie solle er dann wissen, ob es sich auch lohne?
Schließlich habe er naturgemäß nicht ewig Zeit, er, fast ausgelöschter Professor an der Akademie (A-ka-de-miiiiieee).