Mikrobi

Klagefall & Texas-Jim & Hulot

Beitrag vom 8. März 2023 – 15:42 Uhr

Einst haben wir das Netz dafür gemocht, daß es jedem "von uns" eine Stimme gab. Jeder konnte ein Weblog schreiben, jeder konnte es lesen. Es hat mir Freude gemacht, meine Gedanken vor der Welt ausbreiten können. Eine potentiell große Reichweite ohne jeden Filter, ohne Redaktion, ohne Gegenrede, ob von außen oder durch innere Reflektion. Schlußendlich wollten wir, wollte ich gelesen werden, verstanden werden, wollte mich an der Welt reiben, ohne damit zu rechnen, daß auch die Welt sich an mir reiben würde. Nun sind wir mit unseren Weblogs gealtert, das Netz hat alle und jeden erreicht und aufgesogen, indem es große Haufen gebildet hat. Die Gruppen sind gewachsen, sie sind feiner gegliedert, auch wenn mir ihre Abgrenzungen nicht immer klar werden, und sie gehen vor allem aufeinander los. Mußte man früher schon enormes Pech haben, um auf den zu treffen, der einen aus dem Pseudonym in die Öffentlichkeit zerrte, der einem unangenehm wurde, so ist es durch die schiere Masse der Teilnehmer heute der Normalfall. Was wir für uns gefunden haben, die Öffentlichkeit, die Redaktions- und Reflexionsfreiheit als Freiheiten von und zu, die Möglichkeiten des Spiels mit Schwurbel und Kryptik, haben nun alle gefunden. Es bleibt nicht viel, es bleiben uns die Flucht aus dem Netz, wo niemand zur aktiven Teilnahme gezwungen, wenn auch durch die Einfachheit des Daumentippens doch ermuntert wird, oder die Flucht in die langen Texte, ins Geschwurbel, zurück in die Kryptik, in der Hoffnung, daß die, die sich als Nutzer nicht beschimpft fühlen, nicht den Atem für die langen Texte aufbringen, nicht die Kraft für die Aufmerksamkeit. So könnte dies unsere Distinktion sein, auch wenn mir die Fremdwörtelei allzuoft auf den Zeiger geht, den sprichwörtlichen, unsere Abgrenzung also gegenüber denen, die wir als störend empfinden. Doch hat die kurze Geschichte dieses Gedankens bereits einen Haken - ich erinnere mich an einen, dessen Texte lang und voller Geist waren, streitbar ebenso wie strittig, und eben weil man ihn nicht verstand, haben sie ihn gepfählt, ihn am Gartenzaun stehend stammeln lassen, der er die Verkürzung als Entstellung nicht vertrug und vielleicht nicht vorhergesehen hatte, und ihn ausgelacht, als er in vollem Ernst zu ihnen gesagt hat, er komme doch von Tolstoi, von Homer und von Cervantes. Den letzten mußte ich nachschlagen, der Rest ist mir tatsächlich im Gedächtnis geblieben als Warnung von einem, der den neuen Takt nicht mitgehen konnte und zum Aussätzigen erklärt wurde. Streitbar, strittig, umstritten, blieb er am medialen Wegesrand liegen. Vielleicht bleibt uns nur, daß die Geschwindigkeit hoch genug ist, daß nach den fünfzehn Minuten Ruhm nur noch Zeit für wenige Minuten der Schande bleiben kann, bis die Meute weiterzieht. Allein nicht teilzunehmen an einer solchen, soll mein Ziel sein, mich mit keinem Verein einzulassen, mit keinem gemein zu machen, wie einst Reinhard Mey sang. Auch wenn sie unsichtbar sind, die Verbände und ihre Verbindungen, auch wenn man gemein gemacht wird mit jenen, mit denen man vielleicht allein die Sprache teilt. Ein Wort mag schon reichen, das man teilt, denn die Worte sind verbrannt, an ihre Stelle treten neue, die sie in unaufhörlichem Wortwasserfall auf uns prallen lassen, um zu richten die Lebenden und die Toten. Nein, das war woanders, und doch bleibt mir zuletzt nur die Flucht in den Scherz und die Hoffnung, nicht verstanden zu werden, nicht beachtet zu werden, im rasend schnellen Stiefelklirren nicht getroffen zu werden. Es liegt sich nicht so schlecht am Wegesrand, vielleicht, so dachte ich mir in dieser Woche ohne Nachrichten, ohne den Strom der schnellen Sätze und starken Urteile.