Beitrag vom 13. Juni 2023 – 21:46 Uhr
Und wie ich über die Alb fahre, mein Auto aus dem langen Taleinschnitt nach oben keuchen lasse durch eines der sterbenden Straßendörfer, die wenigen Schaufenster ebenso blank geputzt wie leer, da komme ich der Heimat näher. Ein Dorf noch, und oft werde ich hier überholt von Eiligen, in der Rechtskurve vor einer Kuppe, von Lebensmüden vielleicht, auch wenn es noch immer gut ging, daß wir uns alle auf der Straße halten und an den Feldkreuzen vorbeimogeln konnten. Über die Kuppe dann, ich nehme den Gang heraus, ich kenne die Straßen hier im Schlaf, lasse die Schwerkraft ihr Werk tun durch die Senke, weil die Kurve darin gerade so die Geschwindigkeit verträgt, die mir der Hügel mitgibt. Ich rolle schwerelos, die Sonne steht fast quer über der Alb, und das Grüngelb der Felder verwandelt sich in eine unbeschreibliche Farbe, der Duft der Alb wird zu süßem Nektar, der durch die offenen Fenster hereinquillt, Bryan Adams fängt hinter dem Glitzern des Keyboards an, vom Besten zu erzählen, das noch vor uns liegt. Die Sonne, die Farben, ich kann nicht aufhören zu schauen und nicht anfangen, Worte zu finden, ich bin der Blinde, dem ein Gott die Augen öffnet, für einen kurzen Moment, der die Unendlichkeit einer Ewigkeit erträglich machen kann. Eine Halle links, zwei Häuser rechts, eine Allee von Birken, die in den Wald führt. Ich lenke längst nicht mehr, das habe ich hier wohl nie getan, und vielleicht kann man im Himmel ja nur einem Gott das Steuern überlassen. Ich komme nach Hause, denke ich, tauche in den Waldschatten ein und bin wie immer sicher, daß ich auch die letzte Strecke noch hinter mich bringen werde, mit Blick auf meinen Hausberg, den schroff in die Landschaft ragenden, den auch eine Eiszeit nicht wegwischen konnte. Der Fels ist voll Kalk, er hält kein Wasser, er ist scharfkantig und hart und nährt doch den alten Wald auf seinem Buckel und die paar Seelen, die in seinem Schatten eine Heimat haben.