Mikrobi

Klagefall & Texas-Jim & Hulot

Beitrag vom 14. März 2023 – 11:15 Uhr

Ich lebe mich gerade durch eine Zeit, in der ab und an Freunde anrufen und mir sagen, ich sei unsichtbar. Es freut mich, daß sie an mich Unsichtbaren denken, und es reut mich, so unsichtbar zu sein. Ich verbringe derzeit viel Zeit mit etwas, das man Arbeit nennen könnte, glaube ich. Vielleicht habe ich den Begriff der Arbeit aber auch verwässert, entschärft, ausgewalzt oder ganz verloren. Die Wolken ziehen schnell über den Himmel gerade. Ab und an verbringe ich ein paar Minuten mit der Energieversorgung dieses Hauses. So habe ich in einer meiner Kisten, die sich "Organizer" schimpfen, mir aber für meine Unorganisiertheit dienen, noch einen Infrarotsensor gefunden. Den wiederum habe ich an einen der Stromzähler geklebt und so zu justieren versucht, daß er den Unterschied zwischen dem silbernen Drehrad und dem kleinen roten Fleck darauf, der jede Umdrehung vorbeistreicht, erkennen kann. Diese Justage erfolgt mittels eines kleinen Potentiometers, und das wiederum sitzt auf der gleichen Seite wie der Sensor selbst, sodaß ich ständig den Klebestreifen löse, am Potentiometer drehe, und den Sensor dann wieder anklebe. Leider stimmt dann die Position nicht mehr genau, was für die Erkennung des roten Streifens auf dem sehr schmalen Drehrädchen doch wichtig ist, und die Justage dauert ewig. Ich habe also einen kleinen Halter konstruiert, in den ich den Sensor nur einschieben muß. Der Halter bleibt am Gehäuse des Stromzählers festgeklebt, und die Justage funktioniert gleich viel besser, seit ich den Sensor stets gleich positionieren kann. Dann habe ich die Arduino-Entwicklungsumgebung unter meinem Betriebssystem zum Laufen gebracht und ein kleines Programm geschrieben, das den Sensor ausliest. Nur was tun mit dem Ergebnis? Ich möchte ja genau den Übergang vom reflektierenden, hellen Streifen, zum dunkelroten Punkt bestimmen, denn jede Umdrehung steht für eine Hundertfünfzigstel oder eine Fünfundsiebzigstel Kilowattstunde, ich habe ja mehrere Zähler zur Verfügung, die verschieden aufgebaut sind. Und da die Zähler sehr verschieden schnell drehen können, ja sogar am ungünstigsten Punkt stehenbleiben, habe ich mich dann doch in Ringspeicher eingelesen. Diesen fülle ich mit den Sensorwerten und berechne, ob die vordere Hälfte des Ringspeichers mehrheitlich hell und die hintere mehrheitlich dunkel ist. Mit ein wenig Getüftel konnte ich, den Laptop in einer Hand und das ganze Kabelgebaumel in der anderen, mit der Nase aufs Touchpad tippend, das "mehrheitlich" durch Probieren in eine Zahl übersetzen, die der kleine Controller auch versteht, der die Zählaufgabe übernehmen soll. Dann habe ich verschiedene Batterien durchprobiert, die ihn mit Strom versorgen sollen, denn die zuerst vorgesehene Powerbank schaltete sich ob des geringen Stromverbrauchs stets nach wenigen Minuten ab. Gemerkt habe ich das erst nach vielen Treppenstufen, denn der Zähler ist im Keller, während ich meist unterm Dach sitze, um meine Nase zu schonen. Das Touchpad, Sie erinnern sich. Der Senior druckte also die Halterung aus, ich schrieb Code und verwarf ihn wieder, und zuletzt setzte ich einen kleinen mysql-Server auf. Denn der Sensor erkennt nur die Reflektion des Zählrädchens, der Controller erkennt nur den Übergang, und irgendjemand muß ja noch den Rest tun. Das WLAN reicht zum Glück bis in den Keller, und der Controller sendet nun für jede Umdrehung eine Eins zum Server. Dieser wiederum packt nicht die Eins, sondern die sekundengenaue Uhrzeit in eine Tabelle. Diese wiederum lese ich mit Python aus und speichere die Daten in eine Textdatei. Das muß ich tun, weil Matlab unter meinem Betriebssystem leider die grafische Oberfläche zur Interaktion mit SQL-Servern noch nicht im Griff hat. Außer Fehlern nix gewesen, und hätte ich das mal früher gewusst, aber das denke ich ja jeden Tag. Mehrfach. Ich lese also die csv-Datei in Matlab ein und berechne aus den Intervallen die Leistung am Zählerrädchen zu den Zeitpunkten, an denen der rote Punkt vorbeisaust. Oder genau vor dem Sensor stehenbleibt. Also nochmal zurück zum Ringspeicher, und wenn ich den nach jeder erfolgreichen Zählung zurücksetze, passieren auch keine Doppelzählungen mehr. Hoffe ich zumindest. Wo war ich also? Unterm Dach, die Leistung berechnen. Eine Kilowattstunde entspricht einhundertundfünfzig Umdrehungen, ein Kilowatt Leistung über eine Stunde entspräche also einem gezählten roten Punkt alle vierundzwanzig Sekunden. Der Senior hat mittlerweile die Halterung in zig verschiedenen Materialien und allen Farben gedruckt, und ich bitte um Gnade. Ich plotte die Kurve der Leistung, und sie zappelt. Das ist klar, denn die Messung ist ja nur sekundengenau. Sechs Sekunden zwischen zwei Umdrehungen entsprechen vier Kilowatt, und fünf Sekunden schon viertausendachthundert Watt. Hätte ich mir das mal vorher überlegt, denn nun stehe ich vor der Überlegung, die Genauigkeit in der Tabelle auf Millisekunden zu erhöhen, oder zu mitteln. Um meine bereits gesammelten Daten nicht zu entwerten und aus Stümperhaftigkeit im Umgang mit mysql-Tabellen entscheide ich mich für die Mittelung: Fünfzehn Impulse sind einhundert Wattstunden, und schon sieht die Leistungskurve gar nicht mal mehr so zappelig aus, auch wenn die Wolken heute wieder sehr schnell ziehen. Sogar das Wetter hat es eilig in dieser Zeit. Nur ich sitze hier und atme kurz durch, schaue und freue mich an der blauen Linie im Plot, und dann frage ich mich, was ich denn damit eigentlich tun wollte. Und wann ich dazu vielleicht auch mal kommen könnte.