Mikrobi

Klagefall & Texas-Jim & Hulot

Jeden Preis

Das Telefon. Mein Boss. Wütendes Gebrüll. Wo ich bleibe? Bin krank, kann mich kaum bewegen, es geht wohl was rum, vielleicht ist es morgen besser. Eine Lüge mehr oder weniger, auch egal. Verwässert sich mit den anderen aus 70 Jahren.

Wenn ich nicht bald auftauche, droht er, steckt er sich meinen Lohn für die ganze Woche selbst ein. Wäre nicht das erste Mal. Und wenn ich ihn noch einmal so schlapp anflunkere, sorgt er dafür, dass ich an den Ofen versetzt werde. Ich sage nur jaja und hmm und knalle den Hörer auf. Der springt wieder hoch und baumelt wie ein Gehenkter zwischen den Flaschen neben meiner Matratze.

Agnes wacht vom Klirren auf. Schlohweißes Haar auf ihrem Gesicht, weiter Weg aus dem Traumland. Für ein paar Stunden nicht unglücklich. Wenigstens einer von uns. Meine Pillen sind schon seit ‘ner Woche verbraucht. Nachschub gibt’s erst nächsten Monat. Miese Qualität, gestreckt wie verdünnte Luft. Sie schläft viel, weiß Gott, was sie träumt. Aber sie hält durch. Immer noch.

Sie dreht sich um, zieht die Schublade auf, tastet nach dem kleinen roten Kästchen mit dem goldenen Hirsch drauf und zählt die Milchzähne darin. Alle da. Wie seit sieben Jahren. Ob ich Junior schon gesehen habe, fragt sie. Klar, Darling, gerade eben erst. Hab ihn nochmal ins Bett gebracht. Hat mir noch was vom Kindergarten erzählt. Ist dabei eingeschlummert.

Das zu erzählen, diese Erinnerung am Leben zu halten, sie damit im Leben zu halten, reißt mich in Stücke. Wieder und wieder. Täglich kommt dieser Moment und fetzt ein anderes Stück aus mir heraus. Fühlt sich falsch an. Immer. Aber es scheint zu helfen. Ihr zumindest.

Sorry, war ich zu laut? Dreh dich nochmal um. Ist noch früh. Nein, ich habe frei bekommen. Alles wird gut. Ich lüge. Sie glaubt. Das ist der Deal. Für sie zahle ich jeden Preis.