Die Zeit, ja, die Zeit
Für Thomas Bernhard
Im Hotel A., in welchem wir immer um diese Jahreszeit unseren Nachmittagskaffee einnahmen, und dass sich seit mehreren Generationen im Besitz der Familie M. befindet, ihres Zeichens alte Schweizer Kriegsgewinnler, die sich dennoch seit je her etwas auf ihre Neutralität einbilden, aber hinter unangenehmen Gästen immer Gesichter machten, trafen wir von Zeit zu Zeit Professor R., wie immer versunken in einen Stapel von Zeitungen, besser gesagt den Feuilletons, hinter denen sein rotgesichtiger Kopf nur selten, und wenn, dann nur schüttelnd auftauchte.
Da die hiesigen Zeitungen, besser gesagt die Feuilletons, in dieser Jahreszeit naturgemäß wenig zu berichten hatten, war R. und sein rotes Gesicht häufiger zu Gast an unserem Tisch, was einerseits für Erheiterung, andererseits für Beklemmung sorgte, je nachdem wie der Professor den Konsum seiner Zeitungen, besser gesagt der Feuilletons, verkraftete.
Er lese sehr viel Zeitung, besser gesagt die Feuilletons, doch habe er selber nie ein Buch bis zu Ende gelesen, dozierte er des Öfteren, man benötige ja auch nicht den Überschuss von tausend Seiten, wenn man nur die ersten zwei und die allerletzte intensiv genug lese; dabei betonte er das Wort intensiv derart über, dass am Ende nicht klar war, aus welcher Sprache es anfänglich zu stammen schien: Innn-tennn-sieee-f!
Einmal fragten wir ihn, ob er denn verheiratet sei, was er aber mit der Begründung verneinte, dass es sich nicht lohne, sein kurzes Leben an einen Menschen zu ketten, zumal es ihm, Professor an der Akademie (A-ka-de-miiiiie!) kaum vergönnt sein würde, eben diesen Menschen so intensiv (Innn-tennn-sieee-f!) kennen zu lernen, wie er sich das im Grunde seines weichen Herzens wünsche.
Zwar könne er sich die ersten Jahre der Frau mühelos zusammentragen, aufbereiten, aufs Wesentliche beschränkt und komprimiert vortragen lassen, doch, meinte er, habe er einfach nicht die Zeit, bis auf die letzte Seite zu warten, und wie solle er dann wissen, ob es sich auch lohne?
Schließlich habe er naturgemäß nicht ewig Zeit, er, fast ausgelöschter Professor an der Akademie (A-ka-de-miiiiieee).